Kein Gefühl ist falsch, denn es geht um den Schutz von Kindern und Jugendlichen

Seit Sommer 2018 nimmt der MSC teil am Aktionsprogramm gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Die beiden langjährigen MSCer Carmen Rosen und Johannes Pausch sind seitdem im Rahmen dieses Programms die Ansprechpartner in unserem Club. Als Psychologin und Psychotherapeutin und Rechtsanwalt und Strafverteidiger haben die beiden viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Und bilden daher das perfekte Duo. Im Interview erklären sie, warum das Thema sexualisierte Gewalt kein Tabu mehr sein soll, der MSC aber keineswegs unter Generalverdacht steht: „Wir spielen hier nicht Sherlock Holmes“, sagen sie.

Carmen, Johannes: Ihr beide seid seit vielen Jahren ein Paar und seit sehr langer Zeit Mitglieder im MSC. Nun wollen wir euch noch besser kennenlernen. Erzählt doch einmal von eurer MSC-Historie.

Carmen: Oh ja, eine lange Zeit – das trifft es gut. (lacht) Ich kam als Jugendliche in unseren Club und bin mittlerweile seit über 50 Jahren MSCerin.

Johannes: Da kann ich nicht mithalten. Ich bin seit etwa 28 Jahren im MSC. Damals bin ich aus Hessen nach Nordrhein-Westfalen gezogen, hier nach Köln. Und da ich zeitlebens Tennis spiele, bin ich dann über Carmen in den MSC gekommen.

Diejenigen, die euch bereits kennen, wissen, dass ihr im MSC aktiv Tennis spielt. Hattet ihr denn auch schon einmal den Hockeyschläger in der Hand?

Carmen: Ja klar! Als Jugendliche habe ich selbstverständlich auch Hockey gespielt – bei den Stockenten – relativ lange sogar, damals aber natürlich noch auf der Hoppelwiese am Verteilerkreis und einem ehrenamtlichen, sehr netten Trainer. Das war alles nicht so professionell wie heute, schöne Hockeyreisen gab’s damals aber auch schon. (lacht).

Johannes: Also ich kann da nicht mitreden. Ich habe nie Hockey gespielt und werde das vermutlich auch nie tun. Ich glaube, es ist mittlerweile auch einfach zu spät dafür.

Seit etwa einem halben Jahr seid ihr beiden die Ansprechpartner für ein sehr empfindliches Thema: dem Aktionsprogramm gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Wie kam es dazu, dass der MSC-Vorstand euch angesprochen hat?

Carmen: Zuerst möchte ich erst einmal etwas zum Aktionsprogramm sagen: Dieses hat der Landessportbund NRW ins Leben gerufen. Gründe gibt es sicherlich verschiedene: Zum einen ist sexualisierte Gewalt in der Gesellschaft kein Tabu-Thema mehr, es wird darüber gesprochen und aktiv versucht, Prävention und Hilfe anzubieten. Zum anderen hat es in einem anderen Kölner Verein einen Vorfall gegeben, aufgrund dessen der Landessportbund gemeinsam mit diesem Verein aktiv wurde. Daraufhin entwickelte sich die Idee dieses Aktionsprogramms und der Landessportbund fragte die Vereine in NRW an, ob sie an diesem Programm teilnehmen möchten. Der MSC fand diese Idee wichtig und entschied sich mitzumachen.

Und das war der Moment, indem der MSC auf euch beide zuging?

Carmen: Richtig. Denn zu diesem Aktionsprogramm gehört ein Regelwerk, das der MSC erfüllen möchte. Unter anderem ein Punkt des Regelwerks ist, dass der Verein Ansprechpartner stellt, die sich mit diesem Thema auskennen und bereit sind, aktiv bei diesem Projekt mitarbeiten zu wollen. Unserem zweiten Vorsitzenden Michael Münker fiel in diesem Zusammenhang ein, dass ich als Psychologin und Psychotherapeutin lange in der Familienberatungsstelle gearbeitet und mehr als 40 Jahre Berufserfahrung auf diesem Gebiet habe. Also fragte er mich, ob ich Interesse hätte, im MSC die Ansprechpartnerin dieses Aktionsprogramms werden zu wollen.

Und da bot es sich an, dass Johannes beruflich ebenfalls eine Menge Erfahrung hat.

Johannes: Genau, als Rechtsanwalt – und Strafverteidiger. Beruflich hatte ich sowohl auf Opfer- als auch auf Täterseite mit dem Thema sexualisierter Gewalt zu tun.

Carmen: Gemeinsam haben wir dann entschieden, dass wir als langjährige Vereinsmitglieder vielleicht vertrauenswürdige Personen sind und Ansprechpartner für das Thema sexualisierte Gewalt im Sport in unserem Verein werden möchten. Ich denke, als Mann und Frau und mit unserem beruflichen Hintergrund, passt das sehr gut.

Was bedeutet eure Rolle nun konkret, für wen seid ihr der Ansprechpartner? Nur für die Kinder und Jugendlichen oder auch für die Trainerinnen und Trainer?

Johannes: Ich finde, man kann nicht sagen, dass wir nur für den einen oder für den anderen da sind. Was man sagen kann, ist, dass wir im präventiven Bereich beispielsweise anregen wollen, alle Trainerinnen und Trainer im Verein für dieses Thema zu sensibilisieren und fortzubilden. Dazu stellt der Landessportbund Angebote. Eine weitere Aufgabe ist, dass wir – in Zusammenarbeit mit dem Vorstand – einen Ehrenkodex einführen und veröffentlichen werden, der für alle Gültigkeit hat, die im Trainer- oder Betreuerbereich tätig sind.

Ihr seid allerdings ja nicht nur Ansprechpartner im präventiven Bereich.

Johannes: Das stimmt. Auf der Seite der Betroffenen sind wir die Ansprechpartner für Kinder, für Jugendliche, für Eltern, aber eben auch für die Trainerinnen und Trainer. Sie alle können und sollen zu uns kommen, wenn ihnen etwas widerfahren ist oder sie etwas beobachtet haben.

Carmen: Ich würde das gerne noch etwas erweitern: Wir sind immer dann Ansprechpartner, wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt. Diese können verbaler oder auch tätlicher Art sein, zum Beispiel durch Mobbing.

Das heißt, es kann auch zu Grenzüberschreitungen von Jugendlichen gegenüber ihren Trainerinnen oder Trainern kommen?

Carmen: Ja, auf jeden Fall. Ein Trainer kann sich durchaus auch einmal angemacht fühlen und ist dann ratlos, wie er mit einem, ihn irritierenden Verhalten, angemessen umgehen soll. Es geht uns bei diesem Thema also insgesamt auch darum, eine Kultur des Hinschauens und Ansprechens zu schaffen – ohne dabei Sherlock Holmes zu spielen.

Wie sähe denn jetzt ein klassischer Fall aus, in dem ihr angesprochen werden würdet?

Johannes: Klassisch wäre es, dass eine Grenzüberschreitung beispielsweise im Gruppentraining stattfindet, in der ein Kind oder Jugendlicher sich bedrängt, angemacht oder auch gemobbt fühlt. Das betroffene Kind berichtet das seinen Eltern, möchte aber auf der anderen Seite auch nicht aus der Gruppe heraus. Die Eltern stehen dann gemeinsam mit ihrem Kind vor der Frage: „Was machen wir jetzt und wen können wir zu Rate ziehen?“ Das wäre dann der Moment, in dem Carmen und ich angesprochen werden können. Denn bei uns gilt ganz klar Diskretion und Schweigepflicht.

Wie ist diese Schweigepflicht zu verstehen?

Johannes: Wir reden im ersten Moment nur mit dem Betroffenen. Wenn die Person seine Eltern vorerst heraushalten möchte, dann halten wir sie vorerst heraus. Gemeinsam mit dem Betroffenen – und wenn gewünscht – mit den Eltern beraten wir dann, was genau passiert ist und wie wir dieses Problem abstellen können.

In diesem Fall würde das Kind zu seinen Eltern gehen. Kann es nicht aber auch sein, dass ein Kind oder Jugendlicher beispielsweise aus Schamgefühl eben nicht mit seinen Eltern oder gar fremden Erwachsenen reden möchte?

Carmen: Natürlich ist es unheimlich schwer, solch ein Thema anzusprechen. Gerade in einem Verein, in dem man seine Trainer und Mitspieler kennt, will man ja nicht aus einem Husten eine Grippe machen. Oft denkt man ja auch an die Konsequenzen und letztlich will man niemand aus dem eigenen Verein schaden. Aber genau an diesem Punkt wollen wir ansetzen und sensibilisieren. Denn kein Gefühl ist falsch. Wenn jemand etwas beschäftigt, dann kann die Person immer zu uns kommen. Erst dann schauen wir gemeinsam, was an diesem Gefühl dran ist, was das Gefühl verursacht und wie wir dieses Problem letztlich konkretisieren können.

Johannes: Ergänzend sei gesagt, dass wir in diesem Moment mit diesem Interview den ersten Schritt dieser Sensibilisierung gehen. Bevor jemand zu seinen Eltern oder besonders zu uns geht, muss bekannt sein, dass das Thema kein Tabu ist und dass es im MSC Ansprechpartner gibt. Der zweite Schritt ist dann natürlich, das Vertrauen aufzubauen. Und das gelingt nur, wenn wir zeigen und vorleben, dass wir jedem, der zu uns kommt, erstmal glauben und dass seine Geschichte eben nicht die Runde in der Gerüchteküche geht.

Nochmal nachgehakt: Wie würden Eltern in das Problem eingeweiht werden, wenn ein Kind vehement darauf besteht, dass die Eltern nichts von alle dem, was es erzählt hat, wissen dürfen?

Johannes: Wenn uns eine Betroffene oder ein Betroffener anspricht und explizit darum bittet, dass die Eltern nichts erfahren dürfen, dann respektieren wir das natürlich.

Carmen: In meiner Beratungsarbeit fand ich diese Situation tatsächlich relativ häufig vor. Dem Wunsch der Jugendlichen bin ich dann erst einmal nachgekommen. Irgendwann, wenn der Jugendliche bereit war, habe ich allerdings schon angesprochen, dass die Eltern über den Fall informiert werden müssen – gerade dann, wenn die Person noch keine 16 Jahre alt war. Dieser Weg beruht letztlich auf Vertrauen und der Jugendliche merkt, dass ich ihn unterstütze, wenn er seinen Eltern von dem Fall erzählt. Den gleichen Weg würden wir dann auch hier im MSC gehen.

Gäbe es bei einem konkreten Fall direkte Konsequenzen für Opfer und Täter?

Johannes: Die Konsequenzen hängen immer davon ab, wie weit die Betroffenen gehen wollen. Wie bereits gesagt, veranlassen wir nichts ohne Absprache mit dem Betroffenen. Wenn diese mit niemandem außer uns über das Problem sprechen möchten, dann passiert das auch so. Und für die Konsequenzen der Verdächtigten gilt: Carmen und ich sind keine Verfolgungsbehörde, die beispielsweise selbständig Anzeige erstattet. Vielmehr sind wir Ansprechpartner, die in Absprache mit dem Betroffenen, den Verdächtigten auf das Problem ansprechen. Auch dieser muss sich erklären dürfen.

Carmen: Wichtig ist auch, zu verstehen, dass der Vorstand erst dann von uns in Kenntnis gesetzt wird, wenn sich ein Verdacht nach Gesprächen mit allen Beteiligten erhärtet hat. Dann muss dieser überlegen, welche Konsequenzen gezogen werden sollen.

Die Frage, die sich sicherlich manche MSCer stellen, ist, ob Ansprechpartner zu diesem Thema deswegen nötig sind, weil es schon einmal konkrete Fälle gab.

Johannes: Grundsätzlich ist es wichtig zu sagen, dass es die Ansprechpartner als präventives Angebot im MSC gibt – ganz unabhängig davon, ob es bereits Fälle zu diesem Thema in der Vergangenheit gab oder nicht. Konkrete Fälle im MSC kennen wir jedoch nicht.

Carmen: Es geht darum, auf das Thema der sexuellen Gewalt allgemein aufmerksam zu machen. Das Thema sollte im MSC kein Tabu sein. Letztlich geht es um den Schutz der Kinder, der Jugendlichen – aber auch der Trainerinnen und Trainer. Es ist doch toll, dass der MSC sich dieses Ziel gesetzt hat.

Johannes: Und nur, weil sich der MSC am Aktionsprogramm beteiligt, heißt das nicht, dass der Verein unter Generalverdacht steht. Denn wenn es keine solche Fälle gab und gibt, dann ist das doch prima. Aber wenn doch irgendwann einmal solche Probleme aufkommen, so muss es eben einen Ansprechpartner geben. Schön wäre natürlich, wenn wir nie gebraucht werden.

Ihr glaubt also nicht, dass Mitglieder Sorge haben könnten, unter ständiger Beobachtung zu stehen und falschen Tatsachenbehauptungen ausgesetzt zu sein?

Carmen: Wir hatten vorhin schon einmal gesagt, dass wir nicht als Sherlock Holmes oder Verfolgungsbehörde auftreten. Wir wollen das Thema jetzt nicht überbewerten und sagen, der Sport ist plötzlich sexualisiert. Dieses Problem gab es und wird es auch in Zukunft geben. Es ist eben wichtig zu sagen, dass dieses Thema nun im MSC Platz hat und vor allem auch angesprochen werden darf.

Das Interview wurde im Januar 2019 geführt.